Das Finanzamt darf einen bestandskräftigen Bescheid nicht zu Ungunsten des Steuerpflichtigen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabeordnung (AO) unter Berücksichtigung höherer Betriebseinnahmen ändern, wenn bereits der Steuererklärung Unterlagen beigefügt waren, aus denen die Höhe der Betriebseinnahmen ersichtlich war. So entschied das Finanzgericht Baden-Württemberg (FG) mit Urteil vom 19.7.2013 – 9 K 2541/11.
Der Kläger war ein Landwirt, der im Jahr 2008 unter anderem als Mitglied des Aufsichtsrats einer Bank Einnahmen aus selbständiger Arbeit in Höhe von 6.071 Euro erzielt hatte. In der Anlage S hatte der Kläger 3.035 Euro als Gewinn eingetragen; eine Gewinnermittlung oder eine Anlage EÜR waren der Steuererklärung nicht beigefügt, jedoch ein Nachweis der Bank über die gezahlte Vergütung.
In dem Steuerbescheid für 2008 übernahm das Finanzamt den vom Landwirt erklärten Gewinn. Im Januar 2011 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass sich aufgrund einer Betriebsprüfung ergebe, dass die Bank dem Kläger 6.071 Euro zugewendet habe und die Behörde beabsichtige, den Steuerbescheid zu ändern.
Der Kläger vertrat die Auffassung, dass eine Änderung wegen neuer Tatsachen (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) nicht möglich sei, da die Bankbescheinigung über die ausgezahlte Vergütung bereits der Steuererklärung beigelegen habe und die Vergütung somit dem Finanzamt bekannt gewesen sei. Er habe die Betriebsausgaben pauschal mit 50 % der Einnahmen geschätzt. Die jetzt ermittelten tatsächlichen Betriebsausgaben gibt er mit 1.006 Euro an.
Das Finanzamt erließ einen Änderungsbescheid und setzte die Aufsichtsratsvergütung mit 5.065 Euro fest. Der Einspruch blieb erfolglos. Im Juli 2011 erhob der Landwirt Klage, da es nicht sein könne, dass das Finanzamt die der Steuererklärung beigefügten Unterlagen nicht zur Kenntnis nehme; in der wegen des geringen Betrags fehlenden Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG könne kein schuldhaftes Handeln gesehen werden. Das Finanzamt beharrte demgegenüber auf der Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheids, da für die Frage, ob eine neue Tatsache vorliege, es nicht auf das Kennenmüssen, sondern auf die positive Kenntnis der jeweiligen Tatsache ankomme. Eine positive Kenntnis habe im Streitfall nicht vorgelegen.
Das FG entschied, dass der Änderungsbescheid rechtswidrig sei und das Finanzamt nicht befugt gewesen sei, den Steuerbescheid zu ändern.
Die Änderung eines Steuerbescheids ist nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn dem Finanzamt die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Dies gilt nur, wenn die Behörde ersichtlichen Unklarheiten oder Zweifelsfragen, die sich bei einer Prüfung der eingereichten Unterlagen hätten aufdrängen müssen, nicht nachgeht.
Entgegen der Ansicht der Finanzbehörde kommt es im Streitfall nicht darauf an, ob der tätig gewordene Sachbearbeiter positiv Kenntnis von der Höhe der erklärten und tatsächlich erzielten Einnahmen genommen hat. Nach der BFH-Rechtsprechung ist dem Finanzamt grundsätzlich das bekannt, was sich aus den bei ihm geführten Akten ergibt, ohne dass es auf die individuelle Kenntnis des Bearbeiters ankommt. Zu den Akten gehören alle Schriftstücke, die bei der Dienststelle vorliegen oder sie im Dienstgang erreichen.
Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass diese Tatsache dem Beklagten nicht auf einem amtlichen Vordruck, sondern lediglich formlos durch Vorlage der Bankbescheinigung mitgeteilt wurde.