Direkt zum Inhalt

Kein Progressionsvorbehalt für landwirtschaftliche Einkünfte aus grenznahen Flächen im Ausland

Landwirtschaftlich bewirtschaftete Grundstücke, die zu einem inländischen landwirtschaftlichen Betrieb gehören und im grenznahen Ausland belegen sind, können als Betriebsstätte (§ 12 Abgabenordnung – AO) zu qualifizieren sein. Die hierdurch erzielten Einkünfte unterliegen dann gemäß § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG nicht dem Progressionsvorbehalt – so entschied der BFH mit Urteil vom 2.4.2014 – I R 68/12.

Der Kläger betrieb im Streitjahr 2008 einen grenzüberschreitenden landwirtschaftlichen Mischbetrieb (Ackerbau und Milchwirtschaft). Etwa 87 % der von ihm bewirtschafteten Flächen befanden sich in der Bundesrepublik, die restlichen Flächen (sog. Traktatland), die nicht im Eigentum des Klägers standen, waren in den Niederlanden belegen.

Im Streitjahr erzielte der Kläger einen Gewinn von 47.565 Euro, von dem unstreitig ein Gewinnanteil von 3.068 Euro den in den Niederlanden belegenen Flächen zuzurechnen war.

Das Finanzamt unterwarf diesen Einkünfteanteil dem Progressionsvorbehalt (§ 32 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EStG), weil der Landwirt in den Niederlanden keine Betriebsstätte unterhalten habe. Der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht gab der dagegen gerichteten Klage statt.

Der BFH wies die Revision des Finanzamts zurück und bestätigte das Urteil des Finanzgerichts. Der Landwirt war im Streitjahr in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Seine Einkünfte unterlagen deshalb nach dem Welteinkommensprinzip auch insoweit der inländischen Besteuerung, als sie aus der Bewirtschaftung der in den Niederlanden belegenen Grundstücke erzielt wurden. Das Finanzgericht sah es als unerheblich an, dass diese Flächen nicht im Eigentum des Klägers standen.

Allerdings steht das Besteuerungsrecht für die Einkünfte, die aus der Bewirtschaftung der in den Niederlanden belegenen Flächen resultieren, nach Art. 4 des DBA Deutschland – Niederlande, dem Belegenheitsstaat, also den Niederlanden zu. In Deutschland sind sie daher von der inländischen Besteuerung auszunehmen. Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 DBA-Niederlande werden die Steuern für die Einkünfte, die Deutschland zur Besteuerung überlassen sind, jedoch nach dem Satz erhoben, der dem Gesamteinkommen des Steuerpflichtigen entspricht.

Das ist in § 32b Abs. 1 EStG geschehen: Hat ein unbeschränkt Steuerpflichtiger Einkünfte bezogen, die nach einem DBA steuerfrei sind, so ist auf das zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden. Doch gilt das nicht für Einkünfte aus einer anderen als in einem Drittstaat belegenen land- und forstwirtschaftlichen Betriebsstätte. Ob eine Betriebsstätte allein durch die Bewirtschaftung eines Grundstücks im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebes unterhalten werden kann – und die Einbeziehung der abkommensrechtlich freigestellten Einkünfte in den Progressionsvorbehalt damit ausgeschlossen ist –, wird in der Literatur kontrovers diskutiert.

Das Finanzgericht schließt sich der Literaturmeinung an, dass bei einem grenzüberschreitenden Hof mit Geschäftsleitung im Inland die im Ausland belegenen landwirtschaftlich genutzten Grundstücke eine Betriebsstätte begründen, da eine feste Einrichtung i.S. von § 12 AO weder besondere Vorrichtungen noch geeignete Räume für den Aufenthalt von Menschen erfordert. Da § 12 Satz 1 AO nicht mehr wie früher die Ausübung eines stehenden Gewerbes, sondern allgemein die unternehmerische Tätigkeit fordert, werden von § 12 AO auch Betriebsstätten erfasst, die einem Betrieb der selbständigen Arbeit oder (wie im Streitfall) der Land- und Forstwirtschaft zuzurechnen sind.