In seinem Urteil vom 12.11.2014 – X R 4/13 hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass ein für ein bestimmtes Wirtschaftsgut in einem Vorjahr gebildeter Investitionsabzugsbetrag in einem Folgejahr innerhalb des dreijährigen Investitionszeitraums bis zum gesetzlichen Höchstbetrag aufgestockt werden kann. Damit stellt sich der BFH gegen die Meinung der Finanzverwaltung (siehe Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 20.11.2013, BStBl I 2013, 1493).
Der Entscheidung liegt der folgende Fall zugrunde: Die klagenden Eheleute, die im Streitjahr 2009 zur Einkommen-steuer zusammenveranlagt wurden, ließen im Jahr 2010 aufgrund einer verbindlichen Bestellung von Dezember 2008 eine Fotovoltaikanlage errichten, aus der sie Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielten. Die Herstellungskosten für die Anlage betrugen ca. 650.000 €.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2008 beantragte das klagende Ehepaar für die geplante Herstellung der Fotovoltaikanlage einen Investitionsabzugsbetrag in Höhe von 110.000 €, der vom Finanzamt gewährt wurde. Für das Streitjahr 2009 beantragte das klagende Ehepaar eine Aufstockung des Investitionsabzugsbetrags um 90.000 €, was jedoch vom Finanzamt abgelehnt wurde. Dabei verwies das Finanzamt auch auf das o.g. Schreiben des Bundesfinanzministeriums.
Der BFH gab dem klagenden Ehepaar Recht. Die Einkünfte der Kläger aus Gewerbebetrieb müssen um 90.000 € aus der Aufstockung des Investitionsabzugsbetrags gemindert werden.
Gemäß § 7g Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) können für zukünftige Anschaffungen oder die Herstellung eines abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsguts des Anlagevermögens bis zu 40 % der voraussichtlichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten gewinnmindernd abgezogen werden (Investitionsabzugsbetrag). Vorliegend sind die in § 7g Abs. 1 Satz 2 EStG genannten Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines Investitionsabzugsbetrags erfüllt. Es ist jedoch streitig, ob ein unterhalb der Höchstgrenze von 200.000 € liegender Investitionsabzugsbetrag, der bereits in einem Vorjahr abgezogen worden war, in einem Folgejahr des durch § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 3 Satz 1 EStG vorgegebenen Dreijahreszeitraums bis zum Erreichen der genannten Höchstgrenze aufgestockt werden kann.
Der BFH ist der Meinung, dass dies möglich ist. Es lasse sich zwar weder im Gesetzeswortlaut noch aus der Systematik des Gesetzes einen eindeutigen Hinweis für die eine oder die andere Meinung finden. Dennoch entsprach es bereits im Hinblick auf § 7g EStG a.F. der Meinung von Finanzverwaltung, Rechtsprechung und Literatur, dass die Höhe der Rücklage in einem Folgejahr geändert (verringert/erhöht) werden konnte. Auch aus den Materialien zum Unternehmensteuerreformgesetz 2008, das § 7g EStG änderte, geht nicht hervor, dass der Gesetzgeber den Steuerpflichtigen die – zu § 7g EStG a.F. auch von der Finanzverwaltung ausdrücklich zugelassene – Möglichkeit einer späteren Aufstockung nicht mehr zubilligen wollte.
Zudem spreche auch der Zweck des § 7g EStG für die Zulässigkeit der nachträglichen Aufstockung eines Investitions-abzugsbetrags. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll die besagte Vorschrift die Wettbewerbssituation der kleinen und mittleren Betriebe verbessern und der Unterstützung von deren Liquidität und Eigenkapitalbildung sowie der Stärkung der Investitions- und Innovationskraft dienen. Diese Zielsetzung wird durch die Zulassung einer späteren Erhöhung eines bereits in einem Vorjahr in Anspruch genommenen Investitionsabzugsbetrags nicht verhindert, sondern im Gegenteil positiv beeinflusst.