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Abschreibungsbeginn bei Windkraftanlagen

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seinem Urteil vom 22.9.2016 – IV R 1/14 entschieden, dass Anschaffungskosten einer durch Kaufvertrag bzw. Werklieferungsvertrag erworbenen Windkraftanlage erst ab dem Zeitpunkt des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums abgeschrieben werden können. Das wirtschaftliche Eigentum an einer Windkraftanlage geht nämlich erst im Zeitpunkt des Gefahrübergangs auf den Erwerber bzw. Besteller über.

Im vorliegenden Fall wurde u. a. darum gestritten, ab welchem Zeitpunkt die Klägerin Abschreibungen im Zusammenhang mit einer Windkraftanlage in Anspruch nehmen kann. Nach § 7 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) kann der Gewinn bei Erwerb abnutzbarer beweglicher Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens um die Abschreibung für Abnutzung (AfA) in fallenden Jahresbeträgen gemindert werden (sog. degressive Abschreibung). Zusätzlich können bei neuen Wirtschaftsgütern der vorbezeichneten Art nach § 7g Abs. 1 EStG a.F. im Jahr der Anschaffung und den folgenden vier Jahren Sonderabschreibungen bis zu 20 % der Anschaffungskosten in Anspruch genommen werden. Beide Abschreibungen setzen die Anschaffung des in Frage stehenden Wirtschaftsguts voraus.

Der BFH hat ausgeführt, dass als Jahr der Anschaffung gemäß § 9a Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) das Jahr der Lieferung gilt. Geliefert ist ein Wirtschaftsgut, wenn der Erwerber zumindest die wirtschaftliche Verfügungsmacht über das Wirtschaftsgut in dem Sinne erlangt hat, dass er als dessen wirtschaftlicher Eigentümer anzusehen ist (dazu auch BFH, Urteile vom 4.6.2003 – X R 49/01 und vom 1.2.2012 – I R 57/10).

Das wirtschaftliche Eigentum an einem Wirtschaftsgut erlangt der Erwerber erst in dem Zeitpunkt, in dem die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung auf ihn übergeht. Dieser Zeitpunkt ist aufgrund des Vertrags oder nach zivilrechtlichen Regelungen zu bestimmen. Liegt bei der Anschaffung des Wirtschaftsguts (wie im streitigen Fall) ein Werklieferungsvertrag zugrunde, kommt es für die Entscheidung, wann die Gefahr auf den Erwerber übergeht, auf die vertraglichen Vereinbarungen an. Fehlen diese, ist auf die (abdingbaren) zivilrechtlichen Regelungen über die Gefahrtragung abzustellen (§ 446 Satz 1 in Verbindung mit § 651 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB; dazu auch BFH, Urteil vom 28.11.2006 – III R 17/05).

Wird ein Wirtschaftsgut vor dessen Abnahme vom zukünftigen Erwerber bereits genutzt, geht das wirtschaftliche Eigentum am Wirtschaftsgut nach den Ausführungen des BFH nicht etwa bereits im Zeitpunkt der Inbesitznahme und Nutzung über, weil das Wirtschaftsgut während der Nutzungsphase bereits einem Wertverzehr unterliegt. Begründet wird dies damit, dass es darauf nicht ankommen könne, weil der Lieferant des Wirtschaftsguts bis zu dessen Gefahrübergang auf den Erwerber weiterhin das Risiko des Wertverzehrs trägt. Sollte nämlich das Wirtschaftsgut nach der Nutzungsphase im Probebetrieb etwa aufgrund nicht behebbarer technischer Probleme oder wegen Untergangs des Wirtschaftsguts nicht abgenommen werden, liegt keine Abnahme vor, und ein Gefahrübergang hat nicht stattgefunden.

Dies gilt unabhängig davon, ob der Erwerber während des Probebetriebs die Nutzung ziehen kann oder ob der Probebetrieb mit den Betriebsmitteln des Erwerbers ggf. unter Einsatz dessen Betriebspersonals durchgeführt wird. Denn der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums setzt in diesen Fällen voraus, dass der Erwerber das Wirtschaftsgut in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko betreibt. Daran fehlt es aber bis zum Zeitpunkt der Abnahme. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Anlage auf Gefahr des Veräußerers (Werklieferanten) betrieben.