Die Frage, ob eine Leistung eine einheitliche Leistung darstellt oder von einem Bündel selbstständiger Leistungen auszugehen ist, kann für die Frage des Leistungsorts, der Leistungsentstehung, des Steuersatzes oder für die Frage der Steuerbefreiung einzelner Leistungen von erheblicher Bedeutung sein.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied bei einem Vorlageverfahren in seinem Urteil vom 18.1.2018 – C 463/16 (Besichtigungstour „World of Ajax“/Museumsbesuch AFC Ajax), dass die Sechste Richtlinie dahin auszulegen ist, dass eine einheitliche Leistung, die aus zwei separaten Bestandteilen – einem Haupt- und einem Nebenbestandteil – besteht, für die bei getrennter Erbringung unterschiedliche Mehrwertsteuersätze gelten, nur zu dem für diese einheitliche Leistung geltenden Mehrwertsteuersatz zu besteuern ist, der sich nach dem Hauptbestandteil richtet. Dies gilt auch dann, wenn der Preis jeden Bestandteils, der in den vom Verbraucher für die Inanspruchnahme dieser Leistung gezahlten Gesamtpreis einfließt, bestimmt werden kann.
Im Streitfall war im Stadion Amsterdam ein geführter Stadionrundgang mit der Möglichkeit eines nicht geführten optionalen Museumsbesuchs des AFC Ajax angeboten worden. Der Organisator ging davon aus, dass die Besichtigungstour als Dienstleistung auf dem Gebiet der Kultur anzusehen sei, und wandte auf den Umsatz den ermäßigten Mehrwertsteuersatz an. Der Steuerprüfer vertrat dagegen die Ansicht, dass diese Dienstleistung dem normalen Mehrwertsteuersatz unterliege.
Das angerufene Gericht sowie das Berufungsgericht entschieden, dass eine Besichtigungstour eine einheitliche Leistung darstelle, die nicht zum Zwecke der Anwendung eines besonderen Mehrwertsteuersatzes auf einen der Bestandteile dieser Leistung aufgespalten werden könne und dass die Einnahmen aus den Besichtigungstouren zur Gänze dem normalen Mehrwertsteuersatz unterlägen.
Das niederländische Vorlagegericht stellte die Frage, ob die Tatsache, dass der geführte Stadionrundgang und der Besuch des Museums des AFC Ajax so eng miteinander zusammenhingen, dass sie für Zwecke der Mehrwertsteuer als eine einheitliche Leistung anzusehen seien und diese Leistung damit zwangsläufig ein und demselben Mehrwertsteuersatz unterliege. Das Gericht hielt es unter Berücksichtigung der EuGH-Entscheidungen vom 8.5.2003 – C-384/01, vom 6.7.2006 – C-251/05 und vom 6.5.2010 – C-94/09 für möglich, dass auch bei einer einheitlichen Dienstleistung, die aus mehreren Teilen besteht, unterschiedliche Mehrwertsteuersätze zur Anwendung kommen könnten, sofern keine Wettbewerbsverzerrungen zwischen Dienstleistern entstünden und nicht in die Funktionalität des Mehrwertsteuersystems eingegriffen würde.
Der EuGH entschied, dass eine einheitliche Leistung auch dann vorliege, wenn ein oder mehrere Teile als die Hauptleistung, andere Teile aber als Nebenleistung anzusehen sind, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Insbesondere ist eine Leistung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (vgl. EuGH vom 10.11.2016, Bastova, C-432/15 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies gilt auch für den vom vorlegenden Gericht genannten Fall, dass es möglich ist, den Preis für jeden einzelnen Bestandteil der einheitlichen Leistung zu bestimmen. Dass eine solche Bestimmung möglich ist oder die Parteien sich auf diese Einzelpreise einigen, kann eine Ausnahme von den allgemeinen Grundsätzen, die sich aus den oben genannten Urteilen ergeben, nicht rechtfertigen.