Das BMF äußert sich erstmalig mit BMF-Schreiben v. 02.06.2022 zur Einführung der 600.000 €- Grenze in § 24 Abs. 1 S. 1 UStG.
Mit dem Jahressteuergesetzes (JStG) 2020 vom 21.12.2020 hat der Gesetzgeber in § 24 Abs. 1 Satz 1 UStG eine Umsatzgrenze i.H.v. 600.000 € eingefügt. Diese ist erstmals auf Umsätze anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2021 bewirkt werden.
Sofern der Gesamtumsatz für das gesamte Unternehmen im vorangegangenen Kalenderjahr mehr als 600.000 € betragen hat, sind die Umsätze im laufenden Kalenderjahr zwingend nach der Regelbesteuerung zu versteuern. Hinsichtlich der Einführung der Umsatzgrenze hat die Finanzverwaltung neue Regelungen in den Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) aufgenommen und Folgendes geregelt:
Der Unternehmer kann grundsätzlich von der Verpflichtung zur Übermittlung von Voranmeldungen befreit werden, wenn die Steuer für das vorangegangene Kalenderjahr nicht mehr als 1.000 € betragen hat und es sich nicht um einen Neugründungsfall handelt. Die Befreiungsmöglichkeit unterbleibt dagegen in begründeten Fällen, nunmehr auch im ersten Jahr nach dem gesetzlichen Wechsel von der
Besteuerung nach Durchschnittssätzen nach § 24 UStG zur Regelbesteuerung.
Zur neuen Umsatzgrenze werden nachfolgende Regelungen eingeführt. Der Anwendungsbereich der Durchschnittssätze ist nach § 24 Abs. 1 Satz 1 UStG auf land- und forstwirtschaftliche Betriebe solcher Unternehmer begrenzt, deren Gesamtumsatz im vorangegangenen Kalenderjahr nicht mehr als 600.000 € betragen hat. Zum Gesamtumsatz gehören auch die Umsätze von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens. Überschreitet ein Unternehmer die Umsatzgrenze des § 24 Abs. 1 Satz 1 UStG, hat er seine Umsätze nach den allgemeinen Regelungen zu versteuern. Die Prüfung der Umsatzgrenze erfolgt anhand der Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG (ohne Umsatzsteuer), die der Unternehmer mit seinem gesamten Unternehmen im vorangegangenen Kalenderjahr erzielt hat und unter Zugrundelegung der im maßgeblichen Kalenderjahr angewandten Besteuerungsart (Sollversteuerung oder Istversteuerung). Insoweit als der Unternehmer im vorangegangenen Kalenderjahr in seinem Unternehmen die Durchschnittssatzbesteuerung des § 24 UStG angewendet hat, sind bei der Berechnung des Gesamtumsatzes die vereinbarten Entgelte (Sollversteuerung) zugrunde zu legen.
Im Jahr des Beginns der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit ist auf den voraussichtlichen Gesamtumsatz des laufenden Kalenderjahres abzustellen. Im Fall des Beginns der Tätigkeit und wenn die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nur in einem Teil des vorangegangenen Kalenderjahres ausgeübt wurde, ist der Gesamtumsatz in einen Jahresgesamtumsatz umzurechnen.
Im Falle einer Geschäftsveräußerung im Ganzen (z.B. Betriebsübertragung) ist der Vorjahresumsatz des Veräußerers maßgeblich, wenn der erwerbende Unternehmer zuvor keine eigene unternehmerische Tätigkeit ausgeübt hat. Erwirbt ein die Durchschnittssatzbesteuerung anwendender Unternehmer ein weiteres Unternehmen oder einen in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführten Betrieb im
Ganzen und unterlagen die Umsätze des hinzuerworbenen Unternehmens(-teils) auf Grund der Überschreitung der Umsatzgrenze bereits der Regelbesteuerung, hat er ab Beginn des Kalenderjahres, in dem die Geschäftsveräußerung im Ganzen erfolgt ist, sowohl die Umsätze des bisherigen als auch des hinzuerworbenen land- und forstwirtschaftlichen Unternehmens(-teils) nach den allgemeinen Regelungen zu versteuern.
Überschreitet der Vorjahresumsatz des neu hinzu erworbenen Unternehmens(-teils) die Umsatzgrenze nicht, unterliegen im Jahr des Hinzuerwerbs sowohl die Umsätze des bisherigen als auch des hinzuerworbenen land- und forstwirtschaftlichen Unternehmens(-teils) der
Durchschnittssatzbesteuerung. Dies gilt auch, wenn die Summe der Vorjahresumsätze des bisherigen und des neu hinzu erworbenen Unternehmens(-teils) die Umsatzgrenze übersteigen.
Der gesetzliche Wechsel zur Regelbesteuerung stellt keine Option im Sinne des § 24 Abs. 4 UStG dar und bewirkt damit auch keine Bindungsfrist.
Bei einem Übergang zur Regelbesteuerung richtet sich der Voranmeldungszeitraum nach § 18 Abs. 2 Sätze 1 und 2 UStG. Eine Befreiung von der Verpflichtung zur Übermittlung von Voranmeldungen im ersten Jahr nach dem gesetzlichen Wechsel zur Regelbesteuerung kommt nicht in Betracht.
Unternehmer, die die Durchschnittssätze des § 24 UStG anwenden, sind für den Bereich der Land- und Forstwirtschaft im Wesentlichen von den Aufzeichnungspflichten des § 22 UStG befreit. In diesen Fällen können für die Ermittlung des Gesamtumsatzes ergänzend zu den Angaben, die nach § 18 Abs. 3 UStG erforderlich sind, hilfsweise die ertragsteuerlichen Aufzeichnungen und Gewinnermittlungen herangezogen werden. Im Übrigen sind die Umsätze nach den Betriebsmerkmalen und unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse zu schätzen.
Zum Vorsteuerabzug von Unternehmern, die von der Besteuerung nach § 24 UStG zur allgemeinen Besteuerung des UStG übergehen verweist die Finanzverwaltung darauf, dass eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges nach § 15a UStG unter Beachtung der Bagatellgrenzen nach § 44 UStDV in Betracht kommt. Da die Vorsteuerberichtigung u.a. davon abhängig ist, dass für das sogenannte Berichtigungsobjekt (beim Umlaufvermögen der Liefergegenstand, z.B. das Schwein, das Rind etc.) eine Vorsteuer von mindestens 1.000 € angefallen ist, entfällt bei dieser Auslegung in 2022 in zahlreichen Fällen die Vorsteuerberichtigung aus in 2021 angefallenen Vorsteuern, die in 2021 wegen der Anwendung der Pauschalierung nicht abzugsfähig waren.
Hinweis:
Demgegenüber hat das Niedersächsische FG mit Urteil v. 05.05.2022 – 11 K 196/21 entschieden, dass Vorsteuern, die 2021 im Produktionsprozess während der Pauschalierung angefallen sind, bereits in 2021 als Vorsteuer geltend gemacht werden können, wenn sie mit Ausgangsumsätzen im Zusammenhang stehen, die der Regelbesteuerung ab 2022 unterliegen. Das FA hat gegen die Entscheidung Revision eingelegt, die beim BFH unter dem Az. XI R 14/22 anhängig ist.