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Inlandsbezug in § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG als Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht

Im Urteil vom 1.12.2011 – 6 K 435/09 hat das Niedersächsische Finanzgericht (FG) den Inlandsbezug in § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) als Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht der EU angesehen.

Gemäß § 6b EStG können Unternehmen Gewinne aus Immobilien- und Grundstücksverkäufen steuerlich neutralisieren, sofern sie sie in eine Rücklage einstellen und diese grundsätzlich innerhalb einer Frist von vier Jahren für eine Ersatzbeschaffung nutzen. Erfolgt keine Ersatzbeschaffung von Betriebsimmobilien, müssen die Rücklage aufgelöst, für jedes in Anspruch genommene Jahr mit 6 % verzinst und die Gewinne nachträglich versteuert werden. Durch diese Regelung erfolgt eine Subventionierung des Fiskus für die Reinvestitionen der Unternehmen. Jedoch wird diese Möglichkeit nur für Immobilien im Inland gewährt, für im Ausland belegene Immobilien kann diese Rücklage nicht in Anspruch genommen werden.

Die Regelung des § 6b EStG hat die EU-Kommission bereits als diskriminierend gerügt und Deutschland im September 2012 aufgefordert, die Regelung des § 6b EStG so zu ändern, dass grenzüberschreitende Transaktionen nicht benachteiligt werden.

Für das Finanzgericht liegt neben einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit auch eine Ungleichbehandlung von inländischen Betriebsstätten und Betriebsstätten im übrigen Gebiet der Europäischen Gemeinschaft vor. Damit liegt für das Finanzgericht ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot vor.

Die Regelung des § 6b EStG könnte Gesellschaften zum Verzicht auf Investitionen in Betriebsstätten im Gemeinschaftsgebiet bewegen. In jedem Fall wäre eine Investition in Betriebsstätten, die im übrigen Gemeinschafts-gebiet liegen, weniger attraktiv als eine Investition in Betriebsstätten, die sich im Inland befinden. Dies beeinträchtigt die Gesellschaften in ihrem Recht, ihre Tätigkeiten frei von Ungleichbehandlung innerhalb der EU auszuüben. Im vorliegenden Fall wird die Klägerin durch die Regelung des § 6b EStG in ihrer freien Entscheidung behindert, ihre Tätigkeit wahlweise durch eine Betriebsstätte in Deutschland oder eine Betriebsstätte in den Niederlanden auszuüben. Die unterschiedliche Behandlung der in Deutschland ansässigen Gesellschaften stellt demnach abhängig vom Ort der Betriebsstätte eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar.

Nach den Ausführungen des FG ist die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht gerechtfertigt. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses für diese Beschränkung kann das FG nicht erkennen.

Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist nur statthaft, wenn es zwingende Gründe des Allgemeininteresses gibt, die dies rechtfertigen. Wenn dem so ist, muss die Beschränkung zudem geeignet sein, die Erreichung des besagten Zieles zu gewährleisten. Auch darf sie nicht über das Erforderliche hinausgehen.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat als zwingende Gründe des Allgemeininteresses die Notwendigkeit der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zusammen mit zwei weiteren Rechtfertigungsgründen, der Gefahr einer doppelten Verlustberücksichtigung und der Steuerfluchtgefahr, anerkannt. Darüber hinaus hat der EuGH anerkannt, dass die Notwendigkeit, die Kohärenz einer Steuerregelung zu wahren, eine Beschränkung der gemeinschaftsrechtlichen Freiheiten rechtfertigen kann (EuGH, Urteil vom 17.9.2009, Glaxo Wellcome, C-182/08, Slg. 2009, I-8591, m.w.N. zu den Verkehrsfreiheiten; EuGH, Urteil vom 31.10.2008, Krankenheim Wannsee, C-157/07, Slg. 2008, I-8061 zur Niederlassungsfreiheit).