Der BFH (Urteil v. 29.11.2022 – XI R 18/21) hat – entgegen der bisherigen Verwaltungspraxis - entschieden, dass die Zahlung eines sog. KWK-Zuschlags für nicht eingespeisten, sondern dezentral verbrauchten Strom gemäß § 4 Abs. 3a KWKG 2009 nicht zu einem umsatzsteuerbaren und steuerpflichtigen Umsatz führt.
Die Klägerin ist Netzbetreiberin. An ihr Netz ist u.a. eine Kraft-Wärme-Kopplungs (KWK)-Anlage des Wasserverbands V angeschlossen, der den erzeugten Strom nicht in das Netz der Klägerin einspeist, sondern (nahezu) ausschließlich selbst, d.h. dezentral, verbraucht. Gemäß § 4 Abs. 3a KWKG i.d.F. vom 25.10.2008 (BGBl I 2008, 2101) musste die Klägerin einen Zuschlag auch für den Strom bezahlen, der aufgrund des dezentralen Verbrauchs tatsächlich nicht in ein Netz eingespeist wurde. Hierfür erteilte die Klägerin nur Abrechnungen über die Zahlung des Zuschlags (ohne USt).
Das FA vertrat nach einer Außenprüfung jedoch die Auffassung, dass der gesamte von der KWK-Anlage erzeugte Strom zunächst von V in das öffentliche Stromnetz eingespeist und dann der von V selbst verbrauchte Strom von der Klägerin an V wieder zurückgeliefert werde. Während der Außenprüfung erteilte die Klägerin V im Dezember 2014 nachträglich Rechnungen und Gutschriften über die fiktiven Hin- und Rücklieferungen.
Das FG Köln (Urteil v. 16.06.2021 - 9 K 1260/19) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren eingereichten Klage statt. Das FA sei zu Unrecht hin-sichtlich des dezentral von V verbrauchten Stroms von einer Lieferung oder sonstigen Leistung der Klägerin an V ausgegangen. Es fehle bereits an der Lieferung von Strom an die Klägerin, so dass auch die Voraussetzungen einer Rücklieferung der Klägerin an V nicht gegeben seien. Neben einer physikalischen Einspeisung komme auch eine Lieferfiktion im Sinne einer Vertragsein-speisung nicht in Betracht.
Auch der BFH wies die gegen die Klage eingereichte Revision des FA als unbegründet zurück, weil die Klägerin keine steuerpflichtige Leistung an V erbracht habe.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH bezieht sich der Begriff "Lieferung von Gegenständen" nicht auf die Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen, sondern erfasst jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer. Der Bundesfinanzhof (BFH) umschreibt den Begriff der Lieferung in ständiger Rechtsprechung als Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag, ohne dass sich hieraus eine Abweichung von der EuGH-Rechtsprechung ergibt.
Der sog. Direktverbrauch bei zuschlagsberechtigten KWK-Anlagen führt nicht zu einer entsprechenden Lieferung an den Betreiber des Stromnetzes (Netzbetreiber). Zwar kann auch elektrischer Strom Gegenstand einer Lieferung sein. Im Streitfall wurde aber der Klägerin nicht die Verfügungsmacht an dem von V erzeugten Strom übertragen. Denn es wurde kein Strom in das Netz der R-GmbH eingespeist und von ihr wieder zurückübertragen, so dass weder Substanz, Wert oder Ertrag von V auf die R-GmbH und dann von ihr wieder zurück an V übergegangen sind. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Für eine darüberhinausgehende Fiktion fehlt eine Rechtsgrundlage. Schließlich vermag auch Abschn. 2.5 Abs. 17 Sätze 2 bis 4 UStAE als lediglich norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, die Gerichte nicht zu binden.